Unterwegs auf dem Camino Francés – Von Saint Jean Pied de Port reisen wir durch Spanien bis nach Santiago de Compostela.
Meine unvergessliche Reise auf dem Jakobsweg
Unterwegs auf dem Camino Francés – Von Saint Jean Pied de Port nach Santiago de Compostela
Die Bedeutung des Jakobswegs lässt sich jetzt im Nachhinein für mich weder so richtig mit Worten noch mit den vielen Fotos und Videos ausdrücken. Der Jakobsweg, wie ich ihn im Jahr 2022 bereist habe, war ein in dieser Form für mich absolut einmaliges Erlebnis.
Viele Menschen machen sich auf diese Reise, wenn sie vor wichtigen Entscheidungen in ihrem Leben stehen oder eine Phase der Orientierungslosigkeit durchleben.
So war es auch bei mir.
War mir bisher mein Lebensweg gewissermaßen bewusst und hatte ich die grundsätzliche Richtung immer klar vor Augen, war ich ab Frühjahr 2022 umgeben von für mich erstmaligen Ungewissheit und Richtungslosigkeit.
Dies ist die Geschichte von zwei Menschen, die sich auf den Weg vom äußersten Westen Frankreichs 800km bis nach Santiago de Compostela begeben.
Dies ist die Geschichte eines unglaublich beschwerlichen Weges, neuer Freundschaften und gefühlt unzähliger unvergesslicher und wunderbarer Momente.
Dies ist die Geschichte des Jakobswegs – dies ist meine Geschichte.
Ich bin dem Jakobsweg sehr dankbar.
Bevor ich in diesen für mich persönlich sehr wichtigen Reisebericht über eine einzigartige Zeit meines Lebens einsteige – für den ich, noch weiß ich es nicht (Ich bin gerade vier Wochen zurück und es ist Oktober 2022) – mit vielen Unterbrechungen zwei Jahre Schaffenszeit aufwenden werde, korrigiere ich mich direkt zu Beginn.
Ich bin den Jakobsweg nicht alleine gelaufen.
Mit mir sind viele tausende Menschen, Gläubige, Wegbegleiter, Reisende, glückliche Menschen, unglückliche Menschen, lustige, lebensfrohe und interessante Zeitgenossen zeitgleich von dem kleinen französischen Städtchen Saint Jean Pied de Port – durch Felder, Weinberge, steppenähnliche Landschaften, saftige Wiesen, Wälder, verträumte Orte und imposante Städte auf ausgebauten und weniger guten Wegen und Straßen – bis in den äußersten Westen der iberischen Halbinsel gepilgert.
Ein ganz besonderer Mensch, mit dem ich eher zufällig die Reise angetreten habe und der mir im Laufe dieser Zeit sehr ans Herz gewachsen ist, muss hier unbedingt zu Beginn vorgestellt werden.
Yannick und ich haben im Juni 2022, nachdem wir uns lange Zeit nicht gesehen und gesprochen haben, telefoniert. Wir kommen aus zwei verschiedenen Teilen Deutschlands, er aus Hessen, ich aus NRW.
Wir erfuhren zufällig, dass wir uns nahezu zeitgleich auf den Jakobsweg machen wollen – und so beschlossen wir kurzerhand nach einem langen Telefonat, mit der selben Maschine nach Frankreich zu fliegen und die ersten Tage gemeinsam auf dem Camino zu verbringen.
…dass wir länger als geplant zusammen laufen sollten, ahnten wir da noch nicht 🙂
Unsere Beweggründe den Camino zu gehen, waren unterschiedlich. Wie bei den meisten „Peregrinos“, die wir in den kommenden Wochen kennenlernen sollten, haben auch wir zwei ganz eigene Erfahrungen gemacht und uns während des Wegs von unseren eigenen persönlichen Gedanken treiben lassen.
Man durchläuft auf diesen gut 800km viele Punkte und erlebt Situationen, die nachhaltig in Erinnung bleiben – und zumindest mir auf unerklärliche Weise viele Antworten auf bis dahin noch nicht einmal gestellte Fragen lieferten.
Für uns zwei war der Camino weitaus mehr, als nur ein entbehrungsvoller (meist zumindest) Wanderurlaub in spartanischen Unterkünften, mit viel Wein, Bier, Verletzungen, lustigen und traurigen Momenten … und viel zu schwerem Gepäck (!!!).
So viel zur Vorgeschichte. Auf geht´s – Buen Camino!
Köln/Bonn – Biaritz
Wir starteten an einem Mittwoch, den 31.08.2022, vom Flughafen Köln/Bonn nach Biaritz.
Meine Eltern brachten mich zum Flughafen. Ich erinnere mich noch genau, wie wir in das Parkhaus fuhren, das Auto abstellten und den schweren Wanderrucksack aus dem Kofferraum holten. Ich war mir sicher nur das Nötigste eingepackt zu haben. Im Nachhinein erkenne ich selbstkritisch, dass man auch mit weniger als 15kg (ohne Wasser und Verpflegung) sehr gut reisen kann.
Yannick wartete bereits am Terminal vor der Sicherheitskontrolle. Ich verabschiedete mich von meinen Eltern – in dem Bewusstsein, sie gut einen Monat nicht mehr zu sehen. Wenn man wie ich ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Eltern pflegt, ist das schon lang, wenn auch nicht das erste Mal 😉
Der Flug nach Biaritz verlief unkompliziert und gut. Unser Reisegepäck hatten wir doppelt eingepackt, mit einem einfachen Regenüberzug umwickelt und viel Frischhaltefolie.
In Frankreich angekommen studierten wir den Busfahrplan am Bahnhof, um in die Stadt zu gelangen. Eine Unterkunft hatten wir bis dato noch nicht gebucht. Über Booking entschieden wir uns für ein Best Western, das zwischen Meer und Innenstadt lag.
Dieses Hotel kann ich uneingeschränkt empfehlen. Der Manager war sehr freundlich, das Zimmer sauber und großzügig eingerichtet. Da wir erst gegen 22 Uhr im Hotel eincheckten, begaben wir uns direkt auf den Weg in ein nahegelegenes Restaurant und nahmen unsere erste Mahlzeit zu uns.
In dem Restaurant feierten die Franzosen und sangen lauthals immer ein und dasselbe Lied – wir beiden Französisch-Legastheniker glauben, dass es ich um ein Fußballlied handelte. Gegen Mitternacht gingen wir in eine belebte Straße, die Avenue Edourd VII , und tauschten uns angeregt über die bevorstehenden Wochen aus. Nach ein paar französischen Bierchen gingen wir zum Strand und lernten eine Gruppe Franzosen kennen, mit denen wir eine Runde Fußball im Sand spielten und – wie es sich für uns zwei ehemalige Sportler gehörte – natürlich haushoch gewonnen 🙂
Gegen 4 Uhr fielen wir lachend und von einem ersten ereignisreichen Tag erschöpft ins Bett.
Der Einstand war schon mal gelungen!
Biaritz – Saint Jean Pied de Port
Den Morgen starteten wir mit einem leckeren Frühstück in unserer Unterkunft. Auch hier müssen wir ausdrücklich sagen – entgegen späterer Erfahrungen in Spanien – dass wir die Franzosen in Biaritz als sehr freundlich und zuvorkommend wahrgenommen haben und dort einfach eine tolle Zeit hatten.
Bevor wir uns auf den Weg zum Bahnhof machten, wollten wir ein letztes Mal das Meer sehen und stiegen unter – schon jetzt – größten Anstrengungen, die vielen Stufen mit unserem Gepäck herab und wieder hinauf. Gelohnt hat es sich allemal.
Der Tag unserer Reise nach Saint Jean Pied de Port, den bekannten Startpunkt des Camino Francés, war sehr heiß und wir mussten uns erstmal akklimatisieren. So beschlossen wir kurzerhand mit einem Kaltgetränk im Schatten auf unseren Zug zu warten.
Vom Bahnhof in Biaritz fuhren wir mit dem Zug nach Saint Jean Pied de Port. Der Zug war voll von Pilgern. Reisende auf dem Jakobsweg kann man anhand der Muschel erkennen, die mehrheitlich an den Wanderrucksäcken befestigt ist und wie in meinem Fall dort irgendwie schief herumbaumelt.
Die Zugfahrt war sehr angenehm. Auf dem Weg durchquerten wir Wälder und grüne Landschaften. Den einen oder anderen Pilger sahen wir bereits aus dem Zug auf seinem Weg nach Saint Jean. Einige Menschen wählen bereits Biaritz als Ausgangspunkt für ihre Reise nach Santiago. So auch unseren amerikanischen Freund Wim, den wir einen Tag später kennenlernten und auf Anhieb ins Herz schließen sollten.
Angekommen in Saint Jean hörten wir, dass in diesem ersten normalen Reisejahr nach Corona eine große Masse an Menschen sich auf den Weg gemacht hatte. Und alle erreichten Saint Jean Anfang September…
Wir hatten keine Unterkunft gebucht und erreichten Saint Jean in der Erwartung dort in einer Albuerge einkehren zu können, ohne im Vorhinein reserviert zu haben. Da haben wir uns allerdings getäuscht. Alle Unterkünfte waren restlos belegt. Mit etwas Glück und einer Internetrecherche fanden wir auf Airbnb eine Unterkunft am Rande des Ortes, ca. 2km vom Zentrum entfernt.
Nach einem gemütlichen Abendessen in einem kleinen Restaurant im Zentrum Saint Jeans verbrachten wir in einem alten Bauernhaus die erste Nacht.
Zuvor erkundeten wir ein wenig die Stadt und bestiegen den höchsten Punkt, an dem sich ein altes Burggemäuer, die Burgruine von Saint Jean de Buegés, befindet. Die Aussicht auf Saint Jean ist einfach unglaublich. Im Hintergrund sind die Pyrenäen zu erkennen. Dort sollte morgen unsere Reise starten. Wir verbrachten viel Zeit an diesem irgendwie erwürdigen Ort und starrten fasziniert in die Ferne, nicht wissend, dass noch viele ähnlich schöne Stationen auf uns warten sollten.
Die Pyrenäen bilden die natürliche Grenze zwischen dem Königreich Spanien und Frankreich und verlaufen gut 400km zwischen den beiden Ländern. An ihrer höchsten Stelle erreichen sie eine Höhe von fast 3400m.
Tag 1 – Saint Jean Pied de Port – Espinal (31 km)
Unterkunft: Albuerge Haizea
Am Morgen nehmen wir ein kurzes Frühstück in unserer Unterkunft zu uns und begeben uns gemächlich zum Ausgangspunkt unserer Reise. Wir verspürten beide eine gewisse Aufregung und Euphorie und konnten es kaum erwarten loszulegen.
Wie sich in den nächsten Wochen herausstellt, gehören wir zu den Pilgern, die relativ spät am Morgen starten. Anfangs haben wir uns gewundert, dass wir trotz belegter Albuergen kaum Wanderer auf unserem ersten Abschnitt gesehen haben. Mit der Zeit schlossen wir jedoch auf und spätestens auf unserem ersten Stop in einigen hundert Metern Höhe trafen wir weitere Pilger.
Trotz leicht diesigem Wetter ist die saftgrüne Landschaft von Saint Jean und der Aufstieg auf die Pyrenäen eine ganz besondere Etappe. Man darf die Steigung nicht unterschätzen. Ungeübt kommt man schnell ins Schwitzen und sollte unbedingt ausreichend Wasser mit sich führen. Ich erinnere mich an mindestens drei Kleidungswechsel – nur während des Aufstiegs. Da es mit steigender Höhe auch kühler wurde und sowohl Yannick als auch ich beide mit einer leichten Erkältung gestartet sind, zogen wir uns fleißig um und versuchten möglichst trocken zu bleiben.
Hier legten wir auch unseren ersten Zwischenstopp ein und wechselten unsere mittlerweile schweißgetränkten Oberteile.
Die Aussicht hier oben ist atemberaubend.
Nach vielen Stunden des Aufstiegs, einigen Pausen und noch mehr vergossenem Schweiß, erreichten wir nun endlich die Spitze des Berges. Hier hielten wir kurz inne und machten uns weiter auf den Weg. Denn wir mussten die Zeit im Auge behalten…
So anstrengend und steil der Aufstieg nach oben war, umso schwerer fiel es uns nun hinab zu wandern. Der Weg war teilweise unbefestigt und rutschig. Mittelgroße und kleine Steine, Geröll und Geäst liegen auf dem Weg. Man muss sich schon ganz schön konzentrieren nicht ins Rutschen zu kommen.
Nach einigen Stunden des Hinabstolperns erreichten wir endlich Roncesvalles. Von hier waren es nur noch wenige Kilometer bis Espinal.
Espinal und unsere Albuerge erreichten wir letztlich gegen 20 Uhr. Für den ersten Tag – da waren wir uns sicher – war das ein gelungener Auftakt, auch, wenn wir gehofft hatten, etwas früher in unserer Unterkunft anzukommen.
Mit unserem kalifornischen Freund Wim, den wir auf halber Strecke getroffen hatten, aßen wir das erste Mal zu Abend.
Gesättigt, zufrieden unser erstel Ziel erreicht zu haben und mit voller Vorfreude für die nächsten Tage, gingen wir hundsmüde in unseren 20-Personen Schlafsaal, um Kraft für den zweiten Tag auf dem Camino zu sammeln.
Tag 2 – Espinal – Trinidad de Arre (31 km)
Unterkunft: Basilica y Albuerge de La Trinidad de Arre
Die erste Nacht haben wir mehr schlecht als recht verbracht. Zu dem Zeitpunkt waren wir es noch nicht gewohnt in Sammelunterkünften zu schlafen, mit vielen verschiedenen Menschen, schnarchend und laut atmend. Gefühlt habe ich vielleicht ein oder zwei Stunden über die Nacht geschlafen, eine der längsten Nächte, die ich erlebt habe.
Entsprechend müde brachen wir am nächsten Morgen als letzte Gäste in der Unterkunft auf und machten uns leicht verspätet (gegen 9 Uhr) auf zu unserem nächsten Ziel – ursprünglich war es Pamplona…
Es ist erst Tag 2. Wir sind allerdings seit dem Start in Deutschland leicht erkältet und der gestrige lange Wandertag hat uns Ungeübten sichtlich zugesetzt. Dazu kam nun noch eine sehr kurze und unruhige Nacht und den Wein des Vorabends scheinen wir auch noch in den Knochen zu merken.
Die Landschaft um uns herum ist jedoch unglaublich schön und spornt uns an, einfach weiter zu gehen.
In diesem kleinen Fluss machen wir eine kurze Pause und kühlen uns ab. Es ist nicht mehr weit bis Pamplona, doch wir sind erledigt.
Auf dem Weg, ca. 15 km vor Pamplona haben wir eine südkoranische Reisegruppe kennengelernt, bestehend aus einem Geschwisterpaar sowie Hay-Sun und Min-Ji. Sie werden uns in den nächsten Tagen auf unserer Reise begleiten.
Es ist nicht mehr weit bis Pamplona. Mittags haben wir einen kurzen Zwischenstopp mit unseren neu gewonnenen Freunden eingelegt und dabei leicht die Zeit vergessen 🙂
In der Nachmittagssonne bei heißen 33 Grad schleppen wir uns in Richtung Pamplona.
Gegen 20 Uhr – es sind noch knapp 5km bis Pamplona, stoßen wir auf diese Albuerge, die Basilica y Albuerge de La Trinidad de Arre. Es handelt sich um eine mittelalterliche Albuerge ausschließlich für Pilger und wir sind froh, die letzten beiden Plätze in dieser burgartigen Unterkunft zugewiesen zu bekommen.
Tag 3 – Villava – Uterga (22km)
Unterkunft: Caza Baztan
Obwohl wir auch in dieser Nacht nahezu überhaupt nicht schlafen konnten, weil jemand in unserem verhältnismäßig kleinen Schlafsaal – mal wieder – laut geschnarcht hat, machen wir uns bei bestem Wetter auf den Weg nach Pamplona.
Ohropax, Köpfhörer oder irgendeine andere Art von Schallunterdrückung empfehle ich an dieser Stele ausdrücklich.
Die Hauptstadt der Autonomieregion Navarra wurde in den vergangenen 2000 Jahren mehrmals zerstört und immer wieder neu aufgebaut worden. Dass Pamplona eine Festungsstadt ist und strategisch wichtig sein musste, erkennt man an den gewaltigen Stadtmauern und noch erkennbaren Ansätzen von Festungsanlagen. Wir sind trotzdem hineingekommen 🙂
Nahe des Wahrzeichens Pamplona, der Kathedrale Santa Maria de la Real de Pamplona machen wir eine kurze Pause und genießen die Szenerie der Stadt bei einem eiskalten Cerveza.
Dabei treffen wir völlig unerwartet unseren Freund Wim, mit dem wir zwei Abende zuvor unser erstes Pilgermenü gegessen haben.
Wim wird in Pamplona bleiben, aber wir werden uns nicht das letzte Mal gesehen haben.
Irre finde ich, dass man auf dem Jakobsweg sehr schnell und intensiv mit Menschen ins Gespräch kommt. Wir haben uns unglaublich gefreut, ihn wiederzusehen, obwohl wir bis dato vielleicht vier Stunden miteinander verbracht haben. Diese Intensität und die Tiefe der Gespräche ist etwas einmaliges, was ich zuvor und auch seitdem in dieser Form nicht mehr erlebt habe. Man unterhält sich ganz anders als man es von normalen Konversationen mit eigentlich fremden Menschen gewohnt ist.
Wim hat in Kalifornien für die Regierung gearbeitet, in einer Art Umweltbehörde. Er erklärte uns wie es zu dem Abgasskandal kam und wie er die Veränderung der Umwelt einschätzt und wie Kalifornien und die USA mit dem Thema umgehen. Aber auch von seiner Familie und seinem Weg in die USA hat er uns erzählt, interessant und herzzerreißend…
Noch heute denke ich manchmal an Wim.
Nachdem wir Pamplona hinter uns gelassen haben, geht es durch Felder langsam bergauf zum Alto de Pérdon, dem Berg der Läuterung, einem bekannten Wallfahrtsort in der Region Navarra.
Auch dieses Teilstück des Caminos ist wirklich nicht zu unterschätzen. In der Navarra gibt es wenig Schatten und immer wieder anspruchsvolle Etappen auf unbefestigten Wegen. Bei über 30 Grad sind wir auch hier ordentlich ins Schwitzen gekommen.
Man wird jedoch mit einer unbeschreiblich schönen Weitsicht belohnt. Und ohne es zu wissen, trafen wir unsere südkoreanischen Freunde wieder und schlossen uns ihnen kurzerhand an. In der Unterkunft waren wir neben weiteren südkoreanischen Reisebegleitern nahezu allein. Der Schlafsaal war groß und geräumig und der Garten grün und Bäume spendeten Schatten. Es zelteten auch Pilger in diesem kleinen Gartenstück und man konnte kühles Bier bestellen.
Dies war die erste Nacht, in der wir tief und fest schliefen – die erste Nacht seit drei Tagen.
Tag 4 – Uterga – Ayegui (30km)
Unterkunft: Albuerge Turistico San Capriano
Gut erholt brechen wir am Morgen aus der wunderschönen Unterkunft in Uterga auf. Abends saßen wir bis spät in die Nacht mit unseren südkoreanischen Freunden und deren Reisebegleitern zusammen, einigen Eltern und Schülern einer christlichen Schule. Der Abend und die Gespräche waren überaus interessant. In Erinnerung geblieben ist mir besonders die höfliche Art, der Respekt vor dem Alter und das starke Interesse dieser jungen Leute an der europäischen Kultur. Nach dieser Nacht war ich mir sicher, irgendwann auch mal Südkorea zu bereisen.
Mit leichten Fußschmerzen, aber gut erholt und mit viel Sonnenschein traten wir einen weiteren Marsch zu unserem Ziel in Ayegui an.
In einem kleinen Ort auf dem Weg nach Ayegui machen wir halt und die Sonne scheint gnadenlos auf uns herab.
Heute ziehen sich die Kilometer besonders. Der Weg führt uns durch karge und trockene Landschaften, vorbei an zahlreichen Weinreben und über leicht hügeliges Gelände. Der Himmel ist blau und es gibt unterwegs wenig schattige Plätze.
Als wir in Ayegui ankommen, sind wir sichtlich erschöpft und freuen uns gemeinsam ein Pilgermenü einzunehmen.
Wir übernachten in der Albuerge Municipal San Cipriano, die einer öffentlichen Sporthalle gleicht. Auf der rechten Seite hinter der Glaswand ist ein Spielfeld in der Größe eines Handballfelds. Nach dem Essen setzen wir uns zusammen auf die Tribüne und gucken einer Fußballmannschaft beim Training zu, bevor wir noch einen kleinen Abstecher in die Stadt machen und über einen Jahrmarkt laufen.
Gegen 22 Uhr sind wir zurück in der Unterkunft und schlafen direkt erschöpft ein. Die letzten Tage haben wir sehr gut geschlafen und auch diese Nacht können wir (Gott sei Dank) wieder unsere Akkus für den nächsten Tag laden.
Tag 5 – Ayegui – Torres del Rio (25km)
Unterkunft: Hostal Rural San Andres
Da wir gut geschlafen haben, können wir nach einem kurzen gemeinsamen Morgengebet mit unseren Koreanern das erste Mal seit Anbeginn der Reise schon vor 8 Uhr starten. Auch diese Etappe ist (wieder einmal) unerwartet hart und die Sonne steht gnadenlos am wolkenlosen Himmel.
Wenige Kilometer vor Estella stoßen wir auf den Fuente del Vino, den Weinbrunnen. Als PR-Gag gedacht, erfreut sich der Brunnen großer Beliebtheit unter den Pilgern. Man kann seine Trinkflasche (oder auch nur einen Trinkbecher 🙂 ) mit dem leckeren Rotwein auffüllen.
Bei 33 Grad und Sonnenschein erreichen wir schließlich unser Ziel in Torres del Rio.
Sichtlich erschöpft, aber glücklich zapfen wir uns kurzerhand unser Bier an der Bar und genießen…
…diesen atemberaubenden Pool inmitten des alten Gemäuers des Hostals Rural San Andres. Für uns war diese Unterkunft ein absolutes Highlight. Die Räume waren sauber, der Service absolut top und der Pool bei diesen Temparaturen ein unerwarteter Segen.
Am Abend lernen wir Emma aus Schweden kennen, die sich uns am nächsten Tag anschließt. In Logrono wird sie wieder zu ihren Camino-Freunden stoßen.
Gemeinsam nehmen wir ein Pilgermenü in dieser schönen Unterkunft zu uns und lassen uns den Wein der Region schmecken. Was ein toller Tag und ein schöner Abschluss in dieser wunderbaren Unterkunft.
Tag 6 – Torres del Rio – Navarette (36 km)
Heute früh starten wir etwas später als unsere koreanischen Freunde und machen uns mit der Schwedin Emma gemeinsam auf den Weg nach Navarette.
Unterwegs lernen wir Nico aus der Schweiz kennen. Er reist einen Großteil des Jahres und ist bereits seit sechs Monaten auf dem Jakobsweg unterwegs – intern daher von nun an Nico Camino. Nico hat ein unglaubliches Fachwissen was Reiseaustattung angeht und weil Yannick sich auch gut informiert hat, vergleichen die beiden kurzerhand ihr Gepäck. Dabei gibt Nico uns sehr wertvolle Tipps (hier).
Tag 7 – Navarette – Santo Domingo
Heute starten wir wieder gemeinsam mit unseren Freunden. Emma hat sich in Logrono verabschiedet und wird dort mit ihrer alten Gruppe weiterlaufen. Aber auch sie werden wir wiedersehen.
Den Abend zuvor haben wir gemeinsam ein Pilgermenü am Fuße einer schönen alten Kirche gegessen und sind früh schlafen gegangen. Dieses Mal haben wir uns ein gemütliches Doppelzimmer in einer unscheinbaren Albuerge mit kleinem Garten gebucht. Körperlich in passabler Verfassung machen uns nur unsere Füße zu schaffen, aber auch das geht irgendwie. Präpariert mit Blasenpflastern und einer Bandage am Fuß ziehen wir nun durch die wunderschöne Region der Rioja.
Mittlerweile ist eine Woche vergangen und wir haben so langsam unser Tempo gefunden.
Unterwegs machen wir immer wieder kurze Pausen und saugen die Energie der Umwelt auf. Nordspanien ist eine tolle Region und – wie ich finde – noch immer etwas unterschätzt.
Mit meiner Familie bin ich unzählige Male in verschiedensten Regionen des Landes gewesen, mehrheitlich allerdings im Süden Spaniens. Der Norden, mit dem Baskenland, der Rioja, Kastilien und Galicien ist reich an Kultur, schönen Städten und wunderbarer, abwechslungsreicher Natur.
Diese landschaftliche Vielfalt kann man häufig schon innerhalb einer Tagestour erleben.
Bereits in der Navarra schien die Sonne unerbitterlich. In der Rioja stand uns die Sonne dann im Nacken und ich musste mit einem Handtuch nachhelfen, um mich nicht zu verbrennen.
Die Moral stimmt!
Ursprünglich war Santo Domingo nicht unser Ziel für diese Tagesetappe. In der Unterkunft unserer koreanischen Freunde war jedoch kein Bett mehr verfügbar. Vorsorglich habe ich unterwegs in einer Albuerge angerufen und zwei Betten reserviert. Als wir dort ankamen, sagte man uns, dass die Albuerge jedoch voll sei. Und so schleppten wir uns buchstäblich mit unseren letzten Kräfte noch bis nach Santo Domingo und bezogen dort ein Airbnb.
Abends aßen wir die erste Paella. Wir waren sichtlich begeistert. Was ein gelungener Tagesabschluss!
Tag 8 – Santo Domingo – Belorado (22 km)
Unterkunft: Cuatro Cantones
Trotz einer unglaublich anstrengenden Tagestour beenden wir auch Tag 8 mit einem leckeren Abendessen und starten entspannt am späten Morgen (frühen Vormittag 🙂 ) in den Tag.
Eine von Yannicks Morgenroutinen:
Füße pudern, zehensocken überziehen, Tasche packen und anschließend die Beine dehnen. Jeder hat so seine Rituale 🙂
An einem Supermarkt machen wir Halt, kaufen unser Frühstück und etwas Kleber und Tape für meine mittlerweile halblose Schuhsole.
Et voila! Ob das wohl bis Santiago hält?
Hier haben meine Eltern bereits übernachtet, einige Jahre zuvor.
Auf halbem Weg treffen wir Erik aus Brasilien, der auf seiner Ukulele Lieder spielt und uns von seinem Leben in Brasilien und seinen ganz persönlichen Zukunftsplänen erzählt.
Als Dank für die musikalische Unterhaltung laden wir ihn zum Mittagessen ein und genießen den Ausblick über die Rioja.
Am späten Nachmittag kommen wir in der Unterkunft Cuatro Cantones an. Diese Albuerge in dem Ort Belorado absolut zu empfehlen. Das Haus ist sehr sauber, ebenso die Unterkünfte und das Restaurant bietet neben einem Pilgermenü eine richtige Speisekarte.
Außerdem hat die Albuerge einen kleinen Garten mit einem schönen Pool und genügend Liegen zum Sonnen und Entspannen. Hier haben wir es uns wieder richtig gut gehen lassen und die Strapazen des Tages hinter uns gelassen.
Ist der Tag noch so anstrengend, das Gepäck zu schwer und die Füße geschunden, sind es Orte und Momente wie diese, an die man sich erinnert.
Giulia aus Nord-Italien haben wir am Pool kennengelernt. Ihre Reisegruppe ist eine Station weiter und bereits in Burgos. Wir beschließen gemeinsam zu laufen, bis wir ihre Freunde eingeholt haben, die einen Tagesmarsch Vorsprung haben.
Tag 9 – Belorado – Agés (27km)
Unterkunft: Öffentliche Albuerge
Auch heute Nacht haben wir wieder gut geschlafen. Bis zum späten Abend saßen wir im Restaurant und anschließend im Garten der Herberge. Gut erholt machen wir uns an Tag 9 auf den Weg in Richtung Burgos.
Allerdings werden am frühen Morgen Yannicks Laufstöcke versehentlich von jemandem mitgenommen, sodass wir die nächsten Tage die Augen offen halten und erfahren, dass es häufiger vorkommt, dass Laufstöcke versehentlich mitgenommen werden. Eine eigentlich absurde Vorstellung, dass es so häufig zu Verwechselungen kommt. Wenn man sich jedoch die Körbe ansieht, die Abends in den meisten Albuergen mit unzähligen Laufstöcken gefüllt sind und viele Pilger bereits in den noch dunklen Morgenstunden aufbrechen, können solche Missgeschicke schnell passieren. (Gut, dass wir IMMER erst bei Sonnenanbruch starten… natürlich nur, um solche Verwechslungen zu vermeiden… 🙂 )
Und so machen wir uns ein kleines bisschen gefrustet über den Verlust der schönen Stöcke auf den Weg. Auch heute wartet wieder ein wenig Strecke auf uns und auch das Wetter ist wieder mal unerbitterlich.
In weniger als 600km erreichen wir unser Ziel. Dieser Wegweiser zeigt, dass wir uns im ehemaligen Königreich Kastilien befinden, dem Königreich der Burgen.
Wir durchqueren einige kleine Orte und in jeder Albuerge suchen wir vergeblich Yannicks Wanderstock.
Schließlich kommen wir in Agés an und kriegen die letzten Plätze in der dortigen öffentlichen Albuerge.
Mit der Auswahl der Herberge scheinen wir allerdings Pech haben. Abgesehen, dass das Essen hier nicht wie zuletzt schmeckt, scheinen sich hier ganz illustre Pilger zu tummeln. Gleich zu Beginn quatscht uns ein sehr betrunkener Amerikaner an und bölkt, dass er Deutsche nicht mag. Wenig später werden wir von einer Gruppe Franzosen am Nebentisch angesprochen, weil wir uns einen Nachschlag holen möchten – wie die übrigen Gäste auch.
Wir ignorieren dies und gehen gemeinsam in eine kleine Bar und lassen uns dort die Tapas schmecken.
Als wir zurück zur Albuerge gehen, liegt der betrunkene Amerikaner auf dem Boden des Eingangs mit einem halbleeren Rotweinglas neben sich. Wir stellen das Glas beiseite, damit er sich nicht noch mehr einsaut und steigen über ihn in den Schlafsaal.
Als wir sehr früh am Morgen aufbrechen, liegt er noch immer da. Auch in den nächsten Tagen sehen wir ihn vereinzelt, wie er ins Bars sitzt und Leute anspricht oder durch die Straßen taumelt. Uns ignoriert er dabei konsequent 🙂
Auf dem Jakobsweg tummeln sich die verschiedensten Menschen. Wir haben bis zuletzt jedoch nie wieder eine negative Erfahrung gemacht, sondern nur freundliche Reisende und Einheimische angetroffen.
Tag 10 – Agés – Burgos (12km)
Unterkunft: Casa de Peregrinos Emaús – Keine Empfehlung
In Burgos treffen wir bereits am frühen Mittag ein. Wir waschen unsere Kleidung, ziehen uns um und gehen zum Plaza Mayor. Der Platz ist prächtig und bietet viele verschiedene Möglichkeiten gemütlich zu sitzen. Hier verbringen wir den Abend bei Bier, Sangria und wieder Mal leckeren Tapas.
Der Weg in die fast 200.000 Einwohner zählende Hauptstadt der Region führt entlang einer langen Hauptstraße und durch ein Industriegebiet.
Der Weg ist nicht sonderlich schön, aber das Wetter umso mehr und wir freuen uns, heute bereits so früh unser Ziel zu erreichen. In Burgos werden wir in einer alten Kirche nahe des Stadtzentrums schlafen.
Giulia verlässt uns als wir das Zentrum der Stadt erreichen, sie trifft hier wieder auf ihre italienischen Freunde. Sie werden wir nicht wiedersehen. Denn uns sitzt die Zeit im Nacken, die Rückflüge sind bereits gebucht und in nicht einmal zwei Wochen müssen wir Santiago erreicht haben. Vor uns liegen noch 485 Kilometer, sprich über 30 km jeden Tag.
Wir machen uns erstmals Gedanken, ob wir dieses Pensum überhaupt schaffen können… Aber erstmal in Burgos ankommen und dann schauen wir mal 🙂
Die Kathedrale von Burgos ist eine im gotischen Stil erbaute Kirche und seit den 80ern UNESCO Weltkulturerbe.
Um den Hauptplatz herum gibt es viele enge und kühle Gassen mit kleinen Bars, Restaurants und Bistros. Da wir uns am frühen Nachmittag auf den Weg in die Stadt machen, haben die meisten Läden geschlossen und wir entscheiden uns für eines der wenigen Restaurants am Plaza Mayor. Ursprünglich war der Plan, am Abend den Platz zu verlassen und eine kleine Tapasbar zu suchen. Wir fühlen uns allerdings so wohl und werden so freundlich dort empfangen, dass wir bleiben.
Ich erwähnte bereits, dass Yannicks Wanderstöcke verlorgen gegangen sind und weil Yannick sehr an ihnen hing und sie wiederfinden wollte, durchkämmten wir auf unserem Weg zahlreiche Albuergen und Unterkünfte und suchten sie. Er schrieb in mehrere Foren und hinterließ seine Nummer in der Albuerge Cuatro Cantones, wo sie auch abhanden gekommen sind.
In Burgos erhielten wir dann plötzlich einen Anruf. Ein Spanier meldete sich und sagte, dass er Yannicks Stöcke versehentlich mitgenommen habe. Und so verabredeten wir uns für den nächsten Tag in der Albuerge Meeting Point in Hornillos del Camino, unserem nächsten Tagesziel.
Es mag sich nach einer Lappalie anhören, ich habe hier kaum darüber geschrieben, aber damals auf dem Weg war das ein Thema und hat uns (besonders Yannick) sehr beschäftigt.
Zurück nach Burgos: Ich erwähnte bereits, dass wir hier sehr nett und herzlich empfangen wurden. Und nach einigen Runden Cerveza und Tapas merkten wir, dass es Zeit war aufzubrechen. Es war bereis kurz vor 22 Uhr, gleich würde die Herberge schließen.
Als wir ankamen, saß die Herbergsmutter bereits vor der alten Kirche und erklärte uns, dass hier bereits Bettruhe um 21 Uhr sei. Wir konnten uns unabhängig voneinander nicht daran erinnern, dass sie das erwähnt hat. Mag aber auch daran liegen, dass auch sie mit sehr starkem französischen Akzent sprach und die Gäste auch mehrheitlich Franzosen waren. Für die Unterkunft Casa Emmaus möchte ich aufgrund dieser Erfahrung auch keine persönliche Empfehlung aussprechen. Meinen Informationen zufolge ist die Albuerge aktuell geschlossen. Vielleicht hat es sich ja rumgesprochen… 🙂
Tag 11 – Burgos – Hornillos del Camino (21 km)
Heute sind wir auf dem Weg nach Hornillos del Camino, wo wir ein Treffen mit dem „Entführer“ von Yannicks Stöcken ausgemacht haben. Mehr dazu hier.
Die Kathedrale von Burgos
Beim Verlassen der Stadt kaufen wir ein paar Snacks. Bei über 20km Laufstrecke am Tag kann man sich bedenkenlos Süßigkeiten, Gebäck und gefühlt alle kalorienhalten Speisen der Welt zuführen, ohne ein Gramm zuzunehmen.
Nach Hornillos del Camino begegnen uns viele Pilger, gefühlt noch mehr als sowieso zu Beginn unserer Reise. Viele Menschen wählen Burgos als Startpunkt für ihren Weg, wenn sie innerhalb einer normalen Urlaubsdauer von zwei bis drei Wochen den Camino gehen möchten.
Unterwegs ist es heiß, die Sonne versteckt sich hinter einer dichten Wolkenwand, trotzdem schwitzen wir heute besonders. Im Sommer und bei starkem Sonnenschein muss es noch schlimmer sein, wenn wir uns schon Mitte September so quälen… Verschwitzt, aber glücklich, kommen wir heute auch schon am Mittag in unserem Ziel Hornillos del Camino an und beziehen die Unterkunft „Meeting Point“.
Die Herbergsmutter Laura begrüßt uns freundlich und zeigt uns die kleine überschaubare, aber sehr saubere und gut eingerichtete Herberge mit ihrem kleinen Garten und langen Speisetisch, an dem alle Pilger abends gemeinsam essen.
Hier kommt es auch zum legendären Austausch und Wiederesehen mit Yannicks Wanderstöcken, der nun sichtlich zufrieden ist.
In der Herberge treffen wir auf eine Reisegruppe bestehend aus einer Amerikanerin, Bailey, zwei Deutschen, Anna-Lena und Nicole, einem Österreichen namens Gregor und ein Italiener, Francesco, wird auch noch spät am Abend eintreffen. An Francesco erinnere ich mich nur wage. Nachdem wir abends reichlich Paella gespeist und dazu nicht zu wenig Wein und Bier getrunken haben, stößt er erst spät dazu. Er erzählt mir, dass er den Abend zuvor zu lange gezaubert hat und den ganzen Tag in seiner alten Herberge gelegen hat und dann sehr spät losgelaufen ist (so oder so ähnlich war die Geschichte, ich erinnere mich nicht mehr im Detail, denn auch wir saßen schon den ganzen Abend im Garten), um auszunüchtern. Seine Freunde haben ihm einen Schlafplatz im Meeting Point organisiert, obwohl die Herberge ausgebucht war.
Laura hat kurzerhand eine Matratze in den Vorraum gelegt und dort konnte Francesco dann schlafen. Eine sehr nette Geste.
Tag 12 – Hornillos del Camino – Castrojeriz (22km)
Unterkunft: Albuerge Rosalia
An Tag 12 starten wir bei bewölktem Himmel und mit guter Laune in Hornillos del Camino. Wir verabschieden uns schweren Herzens von Laura, die eine tolle Gastgeberin war!
Gregor und die anderen sind bereits auf dem Weg, aber wir werden sie wiedersehen – früher als gedacht.
Fakt: Der Meeting Point ist einfach eine super Albuerge.
Landschaftlich ist auch diese Region – und ich wiederhole mich – einfach malerisch. Eventuell mag es an der Jahreszeit liegen, aber das Zusammenspeil der Farben der geernteten Felder, vereinzelt grüne Flecken von Büschen und Bäumen und der blaue Himmel sind absolute Postkarten- und Fotomotive.
Wir erreichen Castrojeriz und steigen die Stufen des kleinen Ortes zu unserer Herberge für heute Nacht hinauf.
Obwohl die heutige Etappe recht entspannt war, merken wir doch die Last der letzten Tage und Abende. Ich lege mich ins Bett und schlafe völlig unerwartet zwei Stunden lang. Danach machen wir uns fertig, waschen unsere Wechselkleidung und gehen zum Abendessen.
Nach dem Abendessen treffen wir Bailey und Gregor und trinken noch einen Absacker in einer kleinen gemütlichen Bar. Wir entscheiden spontan am nächsten Tag gemeinsam nach Fromista zu gehen.
Tag 13 – Castrojeriz – Fromista
Unterkunft: Name unbekannt
Gut erholt machen wir uns nach einem kurzen Frühstück auf den Weg. Die ersten Kilometer führen über eine Hochebene mit einem sehr schönen Ausblick auf Castrojeriz und das Umland.
Dies ist eines meiner Lieblingsfotos. Der Blick geht gen Osten, ganz klein im Hintergrund kann man die Umrisse der Windräder erahnen, die wir vor zwei Tagen passiert haben.
Auch nach knapp zwei Wochen haben wir uns noch kaum an diese malerischen Landschaften gewöhnt und genießen jeden Moment.
Kurz vor Frómista kühlt es sich plötzlich ab und es beginnt zu regnen. So sehr es auch der Natur gut tut, wir sind überrascht wie frisch und anstrengend die letzten Kilometer werden…
Trotz Regens kommen wir in Frómista an.
Gregor hat uns Plätze in einer Unterkunft reserviert und so stoßen wir gemeinsam am Abend auf unser Kennenlernen und den ersten Regen auf unserem Jakobsweg an.
Nachdem wir ein leckeres Abendessen zu uns genommen haben, suchen wir eine Bar für den Abend und tauschen uns über unsere sehr unterschiedlichen Leben aus. Nicole und Anna-Lena kommen aus verschiedenen Teilen Deutschlands, sie haben sich über eine Anzeige kennengelernt (über Facebook), da sie beide den Jakobsweg gehen wollten, aber eben nicht alleine. Und so kamen die Westfälin und die Bayerin zusammen. Bailey kommt aus Oregon und geht den Jakobsweg, um sich über ihre berufliche Zukunft Gedanken zu machen. Gregor kommt aus Österreich, arbeitet in Barcelona bei einem deutschen Startup und ist auf dem Camino, da ihn der Weg einfach interessiert (und weil er perfektes Spanisch spricht, was unglaublich cool ist!).
Wir verstehen uns super und alle haben lustige Geschichten zu erzählen. Und so unterhalten wir uns, lachen und spielen bis spät in die Nacht.
Denn für Yannick und mich wird es der letzte Abend mit ihnen sein.
Wir haben bereits seit einigen Tagen die Befürchtung, dass wir zu Fuß nicht rechtzeitig in Santiago ankommen werden. Der Rückflug ist bereits gebucht und auch der Urlaub ist leider endlich. Und so entschließen wir uns schweren Herzens am nächsten Tag mit dem Zug nach León zu fahren. Zu Fuß sind es ca. 120 km und wir werden einige Stationen überspringen, die wir gerne gesehen hätten.
Tag 14 – Fromista – León
Unterkunft: Hotel ARVA Paris
Wir verabschieden uns aus Frómista, schließen das Hostel ab und begeben uns auf den Weg zum Bahnhof. Über Palencia geht es mit dem Zug nach León.
In Palencia haben wir zwei Stunden Aufenthalt und erkunden kurzerhand die Stadt. Im 13. Jahrhundert wurde hier eine der ersten Universitäten Europas gegründet. Zu mehr als einem kurzen Altstadt-Spaziergang haben aber nicht Zeit und so geht es mit dem Zug weiter nach…
…León.
Heute ist kein Tag, an dem wir uns irgendwie gut fühlen oder etwas geschafft haben. Wir nehmen es hin und denken an alle, die wir bisher auf unserem Weg getroffen haben und dass wir sie vermutlich auf diesem Camino nicht wiedersehen werden.
Das obligatorische Foto vor der Kathedrale darf allerdings nicht fehlen.
Anschließend lassen wir uns die Laune nicht verderben, suchen unsere schönsten Bademützen raus und gehen in den kleinen hoteleigenen Spa-Bereich.
Am späten Abend laufen wir zur Kathedrale und streifen durch die Straßen der Altstadt. Unser Weg führt uns an einer Bar vorbei, der Bar Victoria, in der ich schon einige Jahre zuvor war.
Sie liegt unweit unseres Hotels und auch nahe der Kathedrale. Den Abend verbringen wir hier und resümieren bereits über die vergangenen zwei Wochen. In weniger als zehn Tagen werden wir bereits Santiago erreichen, wenn alles gut geht.
Wir machen ein letztes Foto vor der Kathedrale und haken den Tag für uns ab. Schon jetzt freuen wir uns auf die nächsten ereignisreichen und fordernden Tage. Auch im Nachhinein haben wir kaum über die Zugfahrt und den Aufenthalt in Palencia gesprochen. Auf dem Weg, den wir nur mit dem Zug gefahren sind, lagen Orte, die wir nun nicht bereist haben. Ich bin mir sicher, dass wir diesen Abschnitt irgendwann nochmal nachholen werden – zu Fuß! 🙂
Tag 15 – León – Hospital de Orbigo (30km)
Unterkunft: Albuerge Verde
Heute können wir wieder stolz auf uns sein. Die 30km + von León nach Hospital de Orbigo laufen wir routiniert. Vorab haben wir der Albuerge Verde eine E-Mail geschrieben und werden dort heute übernachten. Bailey hat uns die „Hippie-Herberge“ empfohlen. Wir sind gespannt 🙂
Das Wetter hat sich seit dem Regen vor Fromista merklich abgekühlt. Bisher sind wir zumeist bei 30 Grad + gelaufen, nun pendeln sich die Temparaturen fortan bei ca. 24 Grad ein. Zum Laufen ist es nun noch etwas angenehmer.
Am frühen Nachmittag erreichen wir die Albuerge Verde und werden freundlich empfangen. Die Albuerge ist nicht sehr groß und hat einen kleinen Schlafsaal mit ca. 10 Stockbetten. Es gefällt uns auf Anhieb.
Noch vor dem gemeinsamen Abendessen machen wir eine Runde Yoga. Die Herbergsmutter führt die recht anspruchsvolle Session. Mit unseren geschundenen Beinen erkennen wir schmerzlich an, wie anstrengend Yoga doch sein kann.
In den letzten zehn Minuten liegen alle Teilnehmer flach mit dem Rücken auf dem Boden und folgen nur der Stimme der Lehrerin. An diesem Punkt falle ich in einen kurzen Schlaf und wache etwas abrupt von einem Gongschlag wieder auf.
Wir sind nun maximal entspannt und und haben bereits großen Hunger.
An einem großen Holztisch versammeln wir uns, danken für das gemeinsame Mahl und werden dabei von einem Gitarren-Duo begleitet – sehr cool! 🙂
Und das vegetarische Essen, die Suppe, der Eintopf und das Brot tun uns gut. Heute Nacht schlafen wir beide tief und fest – mal ohne Pilgermenü und Vino.
Tag 16 – Hospital de Orbigo – Astorga (20km)
Unterkunft: Albuerge Casaflor
In Hostal de Orbigo starten wir nach einer sehr erholsamen Nacht.
Heute werden wir getrennt laufen. Auf dem Camino ist es schön in der Gruppe zu laufen, aber auch alleine zu laufen ist eine Erfahrung, die sehr wertvoll sein kann. Und so gehen wir heute getrennt in Richtung Astorga. Ich möchte nur bis Astorga laufen, Yannick plant etwas weiter zu reisen. Mal sehen, wann und wo wir uns wiedertreffen werden.
Durch einen kleineren Ort führt der Weg bald über einen rötlich sandigen Boden. In der Ferne kann man vereinzelt Pilger erkennen.
Diesen Turm werde ich erklimmen. Vielleicht kann ich von hier aus bereits Astorga sehen.
Astorga kann ich zwar nicht sehen, aber Yannick. Ich muss ihn unterwegs überholt haben. Er hat anscheinend irgendwo Rast gemacht.
Caroline, eine pensionierte Lehrerin aus Kalifornien, die wir beim Frühstück in der Villa Verde kennengelernt haben, macht dieses Foto von uns. Sie meint, wir wären lebensmüde und hielt es für gar keine gute dort hochzugehen.
Nach einem gemeinsamen Foto geht es weiter in Richtung Astorga. Nur noch 270km trennen uns von unserem Ziel.
Am frühen Nachmittag haben wir auch heute unser Ziel erreicht. Allerdings regnet es in Astorga und es ist kalt. Die Albuergen sind mehrheitlich voll und so entscheiden wir weiterzulaufen. Vorerst allerdings wieder getrennt. Wir machen aus, dass wir uns spätestens am nächsten Tag am Cruz de Fero treffen.
Ein Muss ist der Besuch des Bischhofspalast vom berühmten Architekten Antonio Gaudí, der u.a. für die Sagrada Família und den Park Güell bekannt ist.
Sowohl die Kathedrale als auch den Bischhofspalast kann man besichtigen, beides imposante und interessante Bauwerke. Die Kathedrale lasse ich heute links liegen und entscheide mich noch einen Ort weiterzuziehen, nach Murias de Rechivaldo. Hier gibt es eine gemütliche Unterkunft im Grünen.
Ich hatte schonmal erwähnt, dass es uns persönlich eher in die kleinen Orte als in die großen Städte gezogen hat. Es ist immer wieder höchst interessant große Städte zu bereisen und alle Städte auf dem Camino sind eindrucksvoll. Aber, weil man tagsüber in einen teils meditativen Laufrhythmus verfällt, gefielen mir eher die kleinen, ruhigen und überschaulichen Herbergen. Ein Garten dabei, Weitsicht und Ruhe, das ist etwas, was mir an jedem Abend Kraft gegeben hat.
In Murias de Rechivaldo angekommen, beziehe ich ein Zimmer mit Rita, einer Romänin und Lisa, einer Argentinierin.
Im Innenhof treffe ich beim Wäsche aufhängen zwei pensionierte Polizisten aus dem Schwabenländle. Sie arbeiten fast 30 Jahre zusammen in einer Einheit und haben sich immer schon vorgenommen, nach dem aktiven Dienst den Jakobsweg zu gehen. Sie berichten fast beiläufig, dass sie mit einem jungen Mann aus der Nähe von Frankfurt auf dem Zimmer sind.
Und wie es der Zufall will, handelt es sich dabei um Yannick, der sich ebenfalls für diese Albuerge entschieden hat.
Morgen haben wir einen Gewaltmarsch von gut 40km vor uns. Und so speisen wir ausgiebig und gehen auch heute etwas früher ins Bett. Wir werden nämlich bereits sehr früh starten…
Tag 17 – Astorga – Cruz de Fero – El Acebo de San Miguel (38km)
Unterkunft: Absolute Empfehlung! Albuerge Hotel La Casa del Peregrino
Im Dunkeln starten wir gemeinsam. Es ist wirklich dunkel, auf der Kamera ist absolut nichts zu sehen und auch der Weg ohne Lampe schwer erkennbar. Die Augen gewöhnen sich jedoch langsam daran.
Es sind noch einige Kilometer, aber es werden immer weniger…
Der Himmel ist heute auffällig blau und vereinzelt mit schönen Wolkenformationen durchzogen. Bei noch sehr firschen Temparaturen trotten wir nebeneinander in Richtung Cruz de Fero. Die Landschaft ist bergig, mit Weide und vielen kleinen Büschen und Bäumen.
In dieser Cowboy Bar nehmen wir ein reichhaltiges Frühstück zu uns.
Wir sind bereits einige Kilometer gelaufen. Es ist recht frisch, nahezu kalt und wir haben reichlich Appetit.
Rabanal del Camino lasse ich hinter mir. Hape Kerkeling hat damals sehr großen Respekt vor diesem ehemals spärlich besiedelten Örtchen gehabt, schreibt er in seinem Buch. Heute sind keine Hunde zu sehen. Rabanal hat sich entwickelt, vom Strom der Pilger gen Santiago scheinbar profitiert. Eine Cola und eine Flasche Wasser kaufe ich in einem kleinen Laden am Ende der Stadt. Es wird nicht unbedingt viel wärmer, denn es geht weiter bergauf. Aber heute bin ich gut drauf und laufe recht zügig ohne wirkliche Pausen weiter.
Endlich haben wir das Cruz de Fero erreicht.
Das Eisenkreuz markiert den höchsten Punkt des Camino. Wir befinden uns auf 1.500m Höhe.
Schon in den vergangenen Jahrhunderten gab es Stätten in der Nähe, denen mit verschiedenen kulturellen Einflüssen unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben worden. Am Cruz de Fero kann man persönliche Dinge ablegen, einen Stein, den man mitgenommen hat, einen Gegenstand, der einen an etwas erinnert oder auch einfach innehalten.
„Herr, möge dieser Stein, Symbol für mein Bemühen auf meiner Pilgerschaft, den ich zu Füßen des Kreuzes des Erlösers niederlege, dereinst, wenn über die Taten meines Lebens gerichtet wird, die Waagschale zugunsten meiner guten Taten senken. Möge es so sein.“ Dies ist das Gebet, das mit Ablegen des Steines gesprochen werden kann.
Da wir nach Santiago möchten, warten wir noch mit den Sündenerlass und genießen einfach nur den Moment am Cruz de Fero. Ein wahrlich interessanter Ort, mit, wenn man daran glaubt, einer besonderen Energie.
Gut gelaunt ziehen wir weiter in Richtung Molinaseca. Zunächst durchqueren wir den Ort El Acebo.
Unsere Schuhe lassen wir vorerst an.
Als wir El Acebo betreten, fällt uns ein Werbeschild für das Hotel La Casa del Peregrino auf. Die Albuerge scheint einen Pool zu haben und liegt kurz vor Molinaseca. Da wir in Molinaseca keine gemeinsame Unterkunft buchen konnten, kehren wir kurzerhand in dieser wunderschönen Herberge ein. Am Fuße des Ortes El Acebo gibt es hier nicht nur ein ansprechendes Restaurant, sondern auch einen Pool und eine atemberaubende Aussicht.
Mit Blick über die Region lassen wir den Abend ausklingen.
Unsere argentinische Freundin Lisa treffen wir auch hier. Weil es in der letzten Unterkunft in Murias de Rechivaldo so kalt war und sie nur einen Fleece-Pullover eingepackt hatte, habe ich ihr mein Nike-Shirt geschenkt. Und so lädt sie uns aus Dank heute Abend auf einige eiskalte Estrella Galicia ein.
Mit Blick gen Nordwesten, sozusagen unser Ziel vor Augen, verabschieden wir uns erneut von einem Menschen, den wir auf diesem Weg kennengelernt haben und legen uns schlafen. Auch sie werden wir nicht wiedersehen.
Auch diese Nacht haben wir wieder unfassbares Glück. Wir sind allein in einem gemütlichen Acht-Bett-Schlafzimmer. Und so breiten wir uns aus, lüften unsere Kleidung verteilt im ganzen Raum und besprechen die nächsten Tage, bis wir irgendwann einschlafen.
Tag 18 – El Acebo – Villafranca del Bierzo (35km)
Unerkunft: Vina Femita
Wir haben sehr gut geschlafen und fühlen uns trotz der fast 40km am vorigen Tag fit. Zur Unterkunft kann man nur eins sagen: ABSOLUT TOP. Abgesehen von der wirklich schönen Anlage, des Ausblickes und einem köstlichen Frühstück mit Saft, Kaffee und leckerem Brot und Aufschnitt, ist dieses Hotel auch sehr erschwinglich. Wir haben pro Person 11 Euro gezahlt. Für diesen Preis war das die wohl schönste Unterkunft, die ich je bezogen haben 🙂
Auch heute sind wir früh dran und beginnen unsere Tour wieder mal mit Pullover und Jacke bekleidet. Mittlerweile nähern wir uns dem Oktober und es wird immer herbstlicher.
Wir erreichen Molinaseca. Ich habe mich sehr auf diese Stadt gefreut. Ursprünglich wollten wir auch in dieser alten und für die Region ehemals bedeutenden Stadt Halt machen. Nun passieren wir sie lediglich und überqueren den Rio Meruelo.
Wir lassen Molinaseca hinter uns und erreichen schließlich Villafranca del Bierzo.
Hier beziehen wir unsere Unterkunft Vina Femita, mit einem sehr freundlichen Gastgeber.
Wir stoßen auf die letzten mittlerweile fast zwei Wochen und die noch letzte ausstehende Woche an. Noch können wir es uns nicht vorstellen, dass der Camino ein Ende haben wird. So sehr haben wir uns mittlerweile an das Wandern, die vielen unterschiedlichen Menschen und das leckere Essen nach einem kräftezehrenden Tag gewöhnt.
Wir besprechen die Route und entscheiden uns spontan am Abend zwei Stationen zu skippen. In fünf Tagen werden wir bereits nach Hause fliegen müssen. Kurzerhand buchen wir einen Bus nach Sarria.
Tag 19 – Villafranca del Bierzo – Sarria
Unterkunft: Albuerge San Lázaro
Wir frühstücken auf dem Marktplatz von Villafranca. Die Stadt scheint noch zu schlafen. Die Cafes und Bars sind geschlossen, ein friedlicher Anblick.
Wir treffen ein älteres Ehepaar aus Deutschland, die den Jakobsweg vor vielen Jahren gegangen sind und nun immer mal wieder einzelne Ortschaften aufsuchen und dort eine Zeit Urlaub machen. Villafranca hat ihnen damals besonders gut gefallen – das können wir durchaus verstehen.
Vereinzelt trifft man auch normale Touristen auf dem Camino. Häufig sind sie den Weg schonmal gelaufen und kommen nun in die Orte, die sie damals durchlaufen sind und bleiben für einen längeren Aufenthalt.
Wir verabschieden uns von unserem Gastgeber, der uns am Vorabend etwas über die Region, seine Familie und das Leben in Villafranca del Bierzo erzählt hat. Sollte ich die Chance haben, werde ich diesen Ort auch nochmal aufsuchen. Und vielleicht erinnert er sich dann an uns.
In Sarria angekommen, beziehen wir die Albuerge. Hier macht es sich bereits bemerkbar, dass viele Spanier dazustoßen und die letzten 100 km bis nach Santiago gehen.
Es verändert sich ein wenig, aber später dazu mehr.
Tag 20 – Sarria – Portomarin (25km)
Unterkunft: Albuerge Ferramenteiro
Sarria verlassen wir auch heute früh mit unserem Ziel Portomarin. Von heute an haben wir die nächsten Tage vorgebucht. Denn, ich habe es schon kurz erwähnt, es begegnen uns mehr Menschen als zuvor. Besonders viele Spanier bepackt mit leichten Sportrucksäcken und teilweise mit Bollerwagen machen sich auf den Weg lediglich die letzten 100 km nach Santiago zu gehen.
Der Nebel liegt noch schwer über der Landschaft und feuchte Kälte in der Luft.
Ein Pferd am Straßenrand guckt uns überraschend interessiert nach.
War die Guardia Civil vor einigen Jahrzehnten noch gefürchtet und bekannt für unkonventionelle Polizeimethoden, sind wir beiden sehr freundlich begrüßt worden. Gemeinsam haben wir mit Mützen der beiden Kollegen ein Foto machen dürfen und haben zudem einen Stempel ausgestellt bekommen – eine tolle Erfahrung.
Wir erreichen den 100 km Stein. So richtig freuen wir uns allerdings nicht. Immer mehr wird uns bewusst, dass diese Reise bald und schon relativ zeitnah ein Ende haben wird. Haben wir die erste Woche noch gedacht, dass wir niemals Santiago erreichen würden, ist es jetzt erschreckend nah.
Dadurch, dass so viele Pilger dazu kommen, verändert sich der Weg. Das Spirituelle leidet meiner Meinung ein wenig darunter. Einige spanische Gruppen, die wir trafen, gingen den Weg mit lauter Musik. Viele Menschen schicken ihre Rücksäcke vor und die Herbergen sind auf diesem Abschnitt mehrheitlich ausgebucht.
Rückblickend haben uns die letzten 100 km am wenigsten gefallen. Wir waren noch immer gut drauf und trafen am 100 km-Stein zwei Tschechinnen, die sich uns kurzerhand anschlossen. Aber das Gefühl des Camino, die Momente, in denen man scheinbar allein die Landschaft durchquerte, änderte sich. Fortan lief man zeitweise mit einer zusammenhängenden Karawane.
Vermutlich war es auch dem Umstand geschuldet, dass gerade eine Pandemie mit zwei Jahren Stillstand, Ausgangssperren und allem anderen vorüber war und die Menschen einfach wieder normal leben, reisen und erleben wollten.
Wir hatten Santiago fast erreicht. Jetzt bloß nicht umknicken 🙂
Wir läuten die Liberty Bell unmittelbar vor Portomarin.
Der Rio Mino lädt zu einer Abkühlung ein. Kurzerhand bleiben wir hier und nehmen am Rande des Flusses unser Abendbrot, eine kalte Tortilla zu uns 🙂
Anschließend gehen wir in eine Bar und verkösten den leckeren Sangria. Kurz vor 22 Uhr geht es zurück in unsere Unterkunft.
In Portomarin sind alle Herbergen ausgebucht, bereits seit Tagen. Wir werden heute in einer Herberge mit einem 120-Betten Schlafssal nächtigen. Die Vorstellung ist absoluter Horror. Als wir die Stadt betreten, machen wir uns aufs Schlimmste gefasst.
Schnell merken wir, dass die Sorgen umberechtigt waren. Der Raum ist zwar riesig, aber durch massive Vorhänge abgetrennt. Und so macht es den Eindruck, als würde man „nur“ mit 30 anderen Personen in einem Raum schlafen – für uns alten Pilgerasse gar kein Thema und so schlafen wir tief und fest auch in dieser Nacht.
Tag 21 – Portomarin – Palas de Rei (25km)
Unterkunft: Zendoira
Geschlafen haben wir in dieser riesigen Herberge gut. Heute ist es wieder mal frisch und das Wetter etwas zugezogen. Bereits in drei Tagen werden wir in Santiago ankommen.
Im Laufe des Tages steigen die Temparaturen und knacken erneut die 30 Grad Marke. Auch die Sonne scheint und der Himmel klart auf. Am Nachmittag, kurz vor unserem nächsten Ziel, Palas de Rei, machen wir eine kleine Pause am Straßenrand und dösen ein.
Dieses Foto macht eine Pilgerin, die uns anschließend weckt. Wir müssen dort fast eine Stunde geschlafen haben. Als wir wach werden liegen viele Pilger auf der Rasenfläche und nutzen ebenfalls den Schatten der Bäume als Schutz vor der Sonne und Nachmittagshitze.
Heute schlafen wir in diesen kleinen Betteinheiten, wie man sie vereinzelt in Asien findet. Die Herberge hat einen Zahlencode und zwar eine Nachtruhe, aber keine vorgeschriebene Bettzeit.
Und so erkunden wir die Stadt und essen unsere erste Pizza auf dem Camino.
Heute schlafe ich spät ein. Meine Gedanken kreisen um die nächsten Tage. Es liegen nur noch effektiv drei Lauftage vor uns. Dass wir Santiago bald erreichen werden, ist gut und auch unser erklärtes Ziel.
Immer deutlicher wird mir allerdings bewusst, dass der Weg dann vorerst vorbei ist. Die wechselnden Landschaften, Pilgermenüs, angeregte Unterhaltungen auf Englisch und Spanisch mit Menschen verschiedenster Nationen, das gute Wetter, all das wird dann nicht mehr sein.
Diese Erkenntnis beschäftigt mich in dieser Nacht sehr.
Tag 22 – Palas de Rei – Arzúa (25km)
Unterkunft: Albuerge del Peregrino
Es kommt uns sehr unwirklich vor, nur noch 60 km entfernt von Santiago zu sein. Der Menschenstrom hat sich noch etwas verstärkt und man spürt förmlich, wie es alle Pilger in eine Richtung zieht.
Bei schönstem Sonnenschein laufen wir durch die flache Landschaft, vorbei an Höfen, vielen teils überfüllten Rastplätzen und Bistros.
In meinen persönlichen Notizen finde ich über diese Etappe nur wenig. Santiago steht unmittelbar bevor. Das Ende des Wegs legt sich indirekt wie ein dumpfer und allgegenwertiger Schleier über die weiteren Kilometer.
Im nächsten Ort, Melide, werden wir Pulpo essen. Dort mündet auch der Camino Primitivo in den Camino Frances.
In der Pulperia Ezequiel in Melide machen wir Stop und bestellen die Hauptspeise Pulpo a feira – eine echt gute Erfahrung und ausgefallene Speise. Uns hat es geschmeckt. 🙂
Da wir uns in der Pulperia länger aufgehalten haben, erreichen wir unsere Albuerge erst am späten Abend.
Tag 23 – Arzúa – O Pedrouzo (20km)
Unterkunft: Albuerge O Trisquel
Nur noch 39 km liegen heute Morgen vor uns. Die ersten Kilometer führen durch einen Eukalyptus-Wald und anschließend schlängelt sich der Weg an kleineren Höfen vorbei. Heute haben wir ca. 20 km vor uns, damit wir am letzten Tag nur eine kurze Etappe bis Santiago laufen müssen.
In einem kleinen Cafe am Rande des Wegs trinken wir einen Cappuccino und versuchen die letzten Kilometer des Tages ganz bewusst wahrzunehmen.
Insgesamt sind es nur noch 35km bis zu unserem Ziel.
An diesem Ort kann man seinen Namen oder einen Wunsch auf eine Flasche schreiben und sich quasi im Lokal verewigen.
Mit gemischten Gefühlen geht es weiter. Wir reden auch heute nicht viel und bewegen uns mit den Menschen weiter gen Westen.
Gegen Mittag machen wir in einer Bar Halt und lernen zufällig Bella kennen, eine Amerikanerin aus New York, die mit einer großen, international gemischten Gruppe unterwegs ist. Wir wünschen ihr einen guten Weg und laufen weiter.
Nach ca. 10 km machen wir im Schatten einer Bar Halt und treffen Bella erneut, dieses Mal mit ihrer Gruppe. Man lädt uns zu einer Runde Bier ein und wir kommen ins Gespräch. Es sind mir nicht alle Personen in Erinnerung geblieben, einer jedoch besonders. Reino, auch ein Amerikaner, der mittlerweile in Skandinavien lebt und mit seinem besten Freund eine Camino-App entwickelt hat. Reinos Freund ist allerdings tragischerweise verstorben und so hat er sich dieses Mal alleine auf den Weg gemacht. Er checkt auf seinem Weg die Informationen, die er in seine App einspeist.
Viele Menschen, die wir auf dem Weg getroffen haben, laufen, um Orientierung zu finden, manche machen es aus Freude zum Wandern, es gibt aber auch einige mit sehr bewegenden Geschichten. Bella zum Beispiel geht den Weg für ihre polnische Großmutter, die ein Jahr zuvor verstorben ist und ihr viel vom Jakobsweg erzählt hat.
Angekommen in O Pedrouzo gehen wir mit unserer Reisegruppe in ein Restaurant und sitzen bis spät in die Nacht zusammen. Alle erzählen von ihren außergewöhnlichsten Camino-Geschichten. Je später der Abend, desto schwerer fällt es uns die Geschichten zu verstehen … und zu behalten 🙂
Pünktlich zur Nachtruhe trotten wir beiden erschöpft in unsere Albuerge. Im Restaurant hat man uns eine Flasche Wein geschenkt, die wir noch gemeinsam im Aufenthaltsraum der Unterkunft unter uns beiden aufteilen.
Wir resümieren noch bis spät in die Nacht und gehen die letzten Wochen durch. Irgendwann nach Mitternacht verabschieden wir uns von Tag 23 auf dem Jakobsweg.
Tag 24 – O Pedrouzo – Santiago de Compostela (20km)
Unterkunft: Loop Inn Albuerge Santiago
Die Nacht war kurz und am Morgen sind wir beiden leicht lädiert. Trotzdem sind wir – mehr oder weniger – bereit die letzten Kilometer entschlossen zu gehen.
Ein vermutlich vorerst letztes Mal packen wir unsere Taschen ordentlich zusammen, checken, ob wir alles dabei haben und verlassen die Albuerge in O Pedrouzo.
Nun sind es tatsächlich weniger als 20 km bis nach Santiago. So richtig glauben können wir es an diesem Morgen noch nicht. Beim Verlassen der Albuerge passiert es uns das erste mal auf dem Weg, dass wir uns fehlleiten lassen. Ein Pfeil zeigt in Richtung eines Restaurants und so laufen wir kurzerhand einen kleinen Umweg.
Heute sprechen wir das erste Mal über die reinen Fakten. Wir überlegen, ob wir zu- oder abgenommen haben. Vermutlich haben wir Gewicht verloren, trotz der regelmäßigen Zwischenstops, allabendlichen 3-Gänge-Menüs, viel Wein und Bier. Denn diese Form der Bewegung erfordert eine ungeheure Kalorienzufuhr.
Denn wann läuft man schon drei Wochen am Stück täglich 20-30 km mit gut 20 km Gepäck?
Und so lassen wir uns diesen letzten Snack vor den Toren der Stadt ganz besonders schmecken.
Wir erreichen die Stadtgrenze und machen Halt an diesem bekannten Schriftzug. Es sind nur noch wenige Kilometer bis zum offiziellen Ziel, dem Hauptplatz in Santiogo de Compostela, dem Praza do Obradoiro.
WIR HABEN ES GESCHAFFT.
Wir folgen den Menschen in die Stadt und werden vereinzelt beklatscht oder angefeuert, ein ungewöhnliches Gefühl, zumal wir orientierungslos weiter den Pfeilen und Jakobsmuscheln auf dem Boden der antiken Stadt folgen.
Dudelsack-Musik ertönt und wir können erstmals eine Turmspitze der Kathedrale erkennen. Weiter geht es eine Treppe hinab und plötzlich stehen wir auf dem Hauptplatz. Die Kathedrale baut sich imposant vor uns auf und wird von der Sonne unvergleichbar und einzigartig in Szene gesetzt.
Wir haben unser Ziel erreicht.
Tag 25 – Santiago de Compostela
Gestern Abend haben wir entspannt zu Abend gegessen und unsere Compostelas abgeholt. Dafür gibt es ein eigenes Office, in dem man mit relativ kurzer Wartezeit an einem Schalter seine über den Weg gesammelten Stempel vorzeigen muss und anschließend seine Urkunde, die Compostela erhält.
Ein Messebesuch in Santiago ist für uns ein Muss und wir hatten das große Glück das Weihrauchfass, den Batafomeiro schwingen zu sehen.
Am Abend schließen wir uns Bella und co. an und feiern ausgelassen den Camino.
Tag 26 – Abschied aus Santiago
Bis spät in die Nacht sind wir durch Santiago gezogen.
Am Morgen packen wir unsere Sachen zusammen, erneut ein letztes Mal. Nun ist es natürlich etwas anders. Yannick muss bereits recht früh los. Ich habe noch etwas Zeit, bevor ich mich auf den Weg zum Flughafen mache.
Und so verabschieden wir uns nach 25 gemeinsamen, für uns absolut einmaligen Tagen und unvergesslichen Tagen voneinander, auf dem Platz der Kathedrale.
Leider habe ich sie nur noch alleine treffen können. Unsere südkoreanischen Freunde erreichen Santiago, als ich die Stadt in Richtung Flughafen verlassen muss. Ein herzliches Wiedersehen und ein letztes Zeichen des Caminos. Wie unsere Fromista-Gruppe sagen würde: Camino provides.
Danke.
Ich habe lange überlegt, welchen Abschluss ich wähle und womit dieser sehr persönliche Bericht endet. Wie der Verlauf des Jakobsweg habe auch ich mich beim Schreiben sehr schwer getan. Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen. Immer mal wieder habe ich geschrieben, Fotos zusammengesucht, die Route rekonstruieren müssen (einen Teil meiner Aufzeichnungen habe ich nicht wiederfinden können). Die Videos zu schneiden hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen und man entfernt sich gedanklich mit der Zeit von der Reise.
Zu Beginn habe ich eine Struktur finden müssen. Vor ca. eineinhalb Jahren habe ich begonnen die Tage und einzelnen Stationen zu notieren und dazu Fotos hinterlegt. Bevor ich wirklich geschrieben habe, ist noch einmal viel Zeit vergangen. Aller Anfang ist schwer. Der Mittelteil ging schließlich leicht von der Hand und ich war gewissermaßen im Flow. Die letzten Tage dieses Berichts haben sich wie der Camino gezogen, es gibt weniger zu berichten und die Zeit in Santiago war nicht das Highlight unserer Reise.
Aus diesem Grund habe ich mich für zwei Foto entschieden.
Ich assoziere mit dem ersten Foto keine für mich besondere Situation oder einen besonders spannenden, glücklichen oder lustigen Moment. Dieses Foto hat eine uns unbekannte Amerikanerin gemacht, die für ein Projekt Spenden gesammelt hat und vermutlich einen netten Gesprächseinstieg gesucht hat. Es ist am vorletzten Tag entstanden und zeigt uns zwei Tagesetappen vor Santiago.
Trotzdem ist es genau das, was den Jakobsweg ausmacht – der Weg, schlicht und einfach der Weg. Auf dem Weg erlebt man so unglaublich viele Dinge, durchlebt unglaublich viele Momente.
Im Gegensatz zu diesen alten Bäumen im Bild, klein – und in der Ferne kaum erkennbar, kann die Reise für den Einzelnen einfach alles sein.
Das zweite Foto und nun der Abschluss meines Berichts ist hinter Castrojeriz entstanden. Zeitlich befanden wir uns an Tag 13 und somit genau auf der Hälfte unserer Reise. Wir haben Wim kennengelernt, sind mit unseren Südkoreanern gereist und haben Gregor, Bailey, Nicole und Anna-Lena begleitet. Die Region habe ich am ehesten in Erinnerung und wir waren noch weit von Santiago entfernt.
Wir hatten Zeit.
Immer mehr erkennt man für sich den Wert von Zeit.
Und speziell diese Zeit habe ich besonders gemocht.
Ich wünsche jedem seine ganz persönliche Jakobsweg – Erfahrung, mit allen Hochs, aber auch Tiefs, mit allen unvergesslichen Momenten, die einem dieser wunderbare Weg schenkt.
Ich bin dem Jakobsweg sehr dankbar.
Buen Camino!
Manuel
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